Menschlichkeit vor dem Hintergrund des Holocaust und seines Jüdischseins sind Themen, die den Kölner Psychotherapeuten Peter Pogany-Wnendt begleiten.
In #11 erzählt er von den unbewussten Aufträgen, die Nachkommen von Tätern und Überlebenden gleichermaßen mit sich herumtragen, in #12 geht es um die Arbeit des Arbeitskreises für intergenerationelle Folgen des Holocaust, kurz PAKH e.V., dessen Vorsitzender Peter Pogany-Wnendt ist.
1954 wurde Peter Pogany-Wnendt in Budapest geboren. Seine jüdischen Eltern hatten nur knapp die Verfolgung der Nazis überlebt, viele Angehörige wurden ermordet – ein Verlust, der die Familie tief prägte. 1956 flohen seine Eltern mit dem Zweijährigen, während des ungarischen Volksaufstands nach Chile. 1970 dann, aus Angst vor der linken Regierung unter Salvador Allende, nach Deutschland. Nach seinem Abitur studierte Peter Pogany-Wnendt Medizin und ließ sich zum Facharzt für Psychiatrie ausbilden und begann, sich intensiv mit seiner jüdischen Identität auseinanderzusetzen. Doch mit der Frage, was die für ihn als nicht-religiöser Mensch nach dem Holocaust eigentlich bedeuten könnte, fühlte er sich lange allein, bis er 1995 – und nach einer Ausbildung zum Psychotherapeuten – endlich auf Gleichgesinnte stieß, die, wie er, den Nachwirkungen des Nationalsozialismus in ihren Familien nachspürten. Bald war der Arbeitskreis für intergenerationelle Folgen des Holocaust, kurz PAKH, geboren, dessen Vorsitzender Peter Pogany-Wnendt heute ist. Hier sprechen Kinder von Verfolgten, aber auch Kinder von Tätern und Mitläufern über ihre Familiengeschichte in unterschiedlichen Formaten wie einer Dialoggruppe und einer Literaturgruppe und suchen den Austausch. Mittlerweile sind auch Enkel und Urenkel dabei.
Drei Fragen, drei Antworten….
1. Was kann ich tun, wenn ich das Gefühl habe, ich komme mit den körperlichen und psychischen Belastungen nicht klar, die mich beeinträchtigen, seitdem ich mich mit der NS-Vergangenheit meiner Familie beschäftige?
Grundsätzlich hilfreich ist es, Gesprächspartner zu haben, denen man vertraut. Das können Familienangehörige, Freund*innen oder Bekannte sein. Es ist also gut, sich mit Gleichgesinnten zu vernetzen und auszutauschen. Darüber hinaus gibt es Institutionen, Vereine oder Initiativen, wie z.B. die Gedenkstätte Neuengamme, der PAKH oder örtliche politische oder kulturelle Initiativen, die sich mit dem Thema befassen. Schließlich, wenn die seelische Belastung zu groß wird, kann man sich an einen Psychotherapeuten wenden.
2. Was ist es eigentlich, was einen daran so schmerzen kann?
Der tiefste Schmerz liegt im Erkennen, dass die Menschen, die man liebt (Eltern, Großeltern, andere Familienangehörige) sich als Täter/Mittäter mit Schuld beladen haben; oder dass sie als Verfolgte schweres Leid auf sich nehmen mussten. Darüber wird in den Familien häufig nicht gesprochen, so dass kein gemeinsamer Raum für schmerzliche (und andere) Gefühle und damit für eine gemeinsame Verarbeitung der Schuld oder des Leids zur Verfügung steht. Das unverarbeitete wird dann unbewusst als geschlossenes, emotional beladenes „Päckchen“ an die Nachkommen weitergegeben und wirkt unbewusst weiter.
3. Im PAKH treffen sich Nachfahren von Tätern und Verfolgten. Warum ist der Austausch auch heute noch so wichtig?
Weil die Generationen der Nachkommen die Gefühlserbschaften von Schuld und Leid, die ihre Eltern und Großeltern nicht erledigt haben, in sich tragen – meist mit dem unbewussten Auftrag diese zu „erledigen“. Der mitfühlende Dialog unter den Nachfahren beider Seiten hilft diese Erbschaften zu erkennen und mit Hilfe eines einfühlsamen Gegenübers seelisch zu verarbeiten und sich emotional davon zu befreien. Das Getane bzw. Erlittene kann dann als Wissen über schuldhafte Handlungen oder erlittenes Leid der Vorfahren, d.h. als Teil der eigenen Familiengeschichte, aber abgelöst von den tradierten Gefühlen, integriert werden. Es verliert die emotional „toxische“ Wirkung.
Wenn Ihr mehr wissen wollt,
….über die Arbeit von PAKH
- Die Webseite des Vereins bietet einen guten Überblick über Themen und Angebote.
- Der Dokumentarfilm „Der Nachlass“ von Christoph Hübner und Gabriele Voss erzählen Enkel und Urenkel von NS-Tätern und Überlebenden von ihrer Auseinandersetzung mit dem Vermächtnis. Auch Peter Pogany-Wnendt und andere PAKH-Mitglieder sind dabei.
…. über die Arbeit von Peter Pogany-Wnendt
- Peter Pogany-Wnendt: „Der Toten wegen musste ich jüdisch sein“, Deutschlandfunk , Sendung „Zeitzeugen im Gespräch“, 28.1.2021
- Pumla Gobodo-Madikizela (edit.) with contributions by PAKH members Beata Hammerich, Erda Siebert, Peter Pogany-Wnendt, Johannes Pfäfflin and Elke Horn: „History, Trauma and Shame. Engaging the Past through Second Generation Dialogue„, Routledge Verlag 2021, E-Book: ca. 28 Euro
- Peter Pogany-Wnendt: „Holocaust, Menschlichkeit und Psychotherapie“, WDR, „Quarks – Wissenschaft und mehr“, Sendung vom 15.4.2020
- Peter Pogany-Wnendt: „Der Wert der Menschlichkeit. Psychologische Perspektiven für eine Humanisierung der Gesellschaft“, Psychosozial Verlag 2019, 44,90 Euro
- Peter Pogany-Wnendt: „‚Was ist ‚jüdische Identität‘? Volkszugehörigkeit oder Religion?“, in: Psychoanalyse. Texte zur Sozialforschung, Sonderausgabe: „Über den mühsamen Weg aus der Gewalt Wurzeln und Folgen von Aggression und Gewalt“, 16 Jg, Heft 2(28), 2012
- Liliane Opher-Cohn, Johannes Pfäfflin, Bernd Sonntag, Bernd Klose, Peter Pogany-Wnendt (Hg.): „Das Ende der Sprachlosigkeit? Auswirkungen traumatischer Holocaust-Erfahrungen über mehrere Generationen“, Psychosozial Verlag 2001, 29,90 Euro