Oliver von Wrochem ist ein Vorreiter in Sachen Rechercheseminare für die Nachkommen von Tätern, Mitläufern, Zuschauern und Opfern. Der Historiker ist Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme.

In #2 Der Anfang gibt Oliver von Wrochem wichtige Tipps für den Recherchebeginn.

Der Historiker Oliver von Wrochem hat die KZ-Gedenkstätte Neuengamme zu einer Anlaufstelle für all die gemacht, die sich für Familiengeschichte im Nationalsozialismus interessieren. (Foto: Susanne Hakuba)

Die Seminare am dortigen Studienzentrum richten sich an Einsteiger. Aber auch Enkel, die schon länger recherchieren, erhalten wertvolle, individuelle Tipps. An ein Rechercheseminar schließt sich jeweils ein Gesprächsseminar an, das separat gebucht werden muss.
Von Wrochem hat sich schon früh mit den Verbrechen der NS-Zeit auseinandergesetzt. So publizierte er zur Aufarbeitung von NS-Verbrechen und arbeitete mit an der Ausstellung „Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941 bis 1944“ des Hamburger Instituts für Sozialforschung.

Drei Fragen, drei Antworten…

1. Warum finden Sie es wichtig, dass sich die Enkelgeneration damit beschäftigt, wie sich Großeltern im Nationalsozialismus verhalten haben?

Persönliche Bezüge zu ehemals Verfolgten, die ja heute über die ganze Welt verstreut sind, aber auch zu NS-Tätern, rücken die Ereignisse während des Zweiten Weltkriegs und des Nationalsozialismus näher an uns heran. Das ist vor allem für junge Menschen wichtig, weil sie erkennen, weshalb uns die Vergangenheit noch heute betrifft. Und das unabhängig davon, aus welchen Ländern diese Menschen herkommen bzw. geboren wurden.

2. Warum haben Sie sich überhaupt für das Thema interessiert, betrifft es Sie auch persönlich?

Ich habe mich schon während meines Studiums und in den folgenden Jahrzehnten intensiv mit Handlungsmöglichkeiten der im Nationalsozialismus lebenden Menschen beschäftigt. Die Auseinandersetzung mit dem Schicksal der Verfolgten ist für die Gedenkstättenarbeit zentral. Ebenso wichtig ist es aber auch, das Handeln der NS-Täter zu untersuchen. Das sind zwei Seiten einer Medaille. Meine Großeltern lebten im nationalsozialistischen Deutschland, insofern ist der Nationalsozialismus unmittelbarer Teil meiner Familiengeschichte.

3. Worüber denken Sie bei Ihrer Arbeit in der Gedenkstätte gerade nach?

Wir überlegen derzeit konkret, was wir tun können, um Menschen, die sich mit ihrer Familiengeschichte beschäftigen, auch in Zeiten der Corona-Pandemie die Möglichkeit geben können, sich auszutauschen. Wir müssen schauen, wie sich alles weiter entwickelt in Richtung Winter. Sollten Seminare vor Ort längerfristig nicht möglich sein, werden wir das Rechercheseminar als Online-Seminar anbieten. Innerhalb eines Kooperationsprojekts mit der HafenCity Universität Hamburg hat die KZ-Gedenkstätte Neuengamme Anfang Juni 2020 eine Begegnungswoche digital durchgeführt, bei der sich Studierende mit Nachkommen von Verfolgten ausgetauscht haben. Das lief sehr erfolgreich.

Wenn Ihr mehr wissen wollt

zu den Seminaren

warum die Geschichte Eurer Großeltern Euch prägt

  • „Das Doppelte Erbe“. Podiumsdiskussion im April 2019 des Körber Forums in Kooperation mit der Gedenkstätte Neuengamme (April 2019)

  • Interview mit der Bundeszentrale für politische Bildung, warum es in der Bildungsarbeit wichtig ist, dass sich Familien mit der NS-Täterschaft auseinander zu setzen

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