Wie traumatische Erfahrungen weitergegeben werden, das ist das Spezialgebiet von Angela Moré. Das betrifft Verfolgung, Gewalt, der Tod von Angehörigen, Krieg, Vertreibung – aber auch die Schuldverstrickungen in Familien von Verfolgten und von Tätern. Angela Moré ist Professorin für Sozialpsychologie an der Leibniz Universität Hannover sowie Mitbegründerin des gruppenanalytischen Instituts GIGOS.
In Folge #10 Traumata spricht sie über transgenerationellen Weitergabe von Traumata

Für die Sozialpsychologin Angela Moré ist die Weitergabe von Traumata ein Thema auch für Kriege der Gegenwart. Foto: Bernd Wolter

Für Angela Moré ist das Thema aktueller denn je: Es ist nicht nur der Nationalsozialismus, der seine Spuren in den Familien hinterlassen hat, auch gerade jetzt sind viele Menschen weltweit von Krieg und Gewalt betroffen –Syrien ist nur eines von vielen Beispielen, wo traumatische Erfahrungen zu „Gefühlserbschaften“ werden – ein Begriff, der auf den Psychoanalytiker Sigmund Freud zurückgeht.

Angela Moré begann schon vor vielen Jahren, sich mit dieser Thematik zu beschäftigen. Ein entscheidender Anstoß dafür war 1995 die deutsche Veröffentlichung eines Sammelbandes, der drei Jahre zuvor in den USA erschienen war: In „Kinder der Opfer – Kinder der Täter“, setzen sich unterschiedliche Autoren mit den psychischen Folgen des Holocaust bei der zweiten Generation auseinander. Gleichzeitig erschienen Mitte der 1990er Jahre in der Zeitschrift Psyche immer mehr Beiträge zu diesem Thema.

Doch das Thema trieb Angela Moré schon in ihrer Schulzeit um. Sie fragte sich, warum die deutsche Gesellschaft die Zeit des Nationalsozialismus so wenig thematisierte, warum sich nur einige Menschen wirklich emotional mit dieser Zeit auseinandersetzten. Sie nahm an vielen Demonstrationen gegen die damals wieder erstarkende NPD teil. Bis heute ist ihr schleierhaft, warum sich Menschen für nationalistische Ideen erwärmen können und warum es noch immer funktioniert, dass Sündenböcke für die Lösung aller Probleme verantwortlich gemacht werden. Im Laufe des Studiums befasste sich Angela Moré viel mit der Vorurteils- und Antisemitismusforschung, die durch die Frankfurter Schule entscheidende Impulse bekommen hat.

Drei Fragen, drei Antworten…

1. Wie kann das eigentlich sein, dass ein erlebtes Trauma in der Zeit des Nationalsozialismus durch die Generationen weitergegeben wird?

Unverarbeitete Traumata beeinträchtigen Menschen in ihren emotionalen Wahrnehmungs- und Ausdrucksmöglichkeiten erheblich. So kann durch die Entwicklung eines posttraumatischen Belastungssyndroms (PTBS) ein traumatisierter Mensch immer wieder von Panikattacken heimgesucht werden oder der/die Betroffene reagiert auf Situationen und Momente, die ihn an das Trauma erinnern, mit Schrecken, hilfloser Wut oder Erstarrung. In der Folge kann sich ein Vermeidungsverhalten durch zunehmenden Rückzug aus der Welt oder auch eine psychische oder psychosomatische Störung entwickeln (z.B. Depression, Alkohol- und Drogenkonsum, unkontrollierte Affektdurchbrüche etc.). Werden die Betroffenen (später) Eltern, so sind die emotionale und soziale Kommunikation mit ihren Kindern häufig von diesen Störungen geprägt und haben verunsichernde und beängstigende Beziehungen zur Folge. Da Kinder von den primären Bezugspersonen zunächst völlig abhängig sind, sind sie deren emotionalen Botschaften intensiv ausgesetzt und versuchen zugleich, ihr Gegenüber „zu verstehen“. In der bewussten wie unbewussten Kommunikation vermitteln sich den Kindern innere Stimmungen und Bilder, die sie für sich auszudeuten und zu begreifen versuchen.

2. Woher kann man wissen, dass es sich dabei wirklich um eine Gewalterfahrung handelt, die aus dem Nationalsozialismus stammt?

Dieses Wissen hat man nicht ad hoc. Aber aus den Erzählungen, biographischen Daten und den Lebensumständen der Familie ergeben sich häufig Hinweise. Zunächst sind da in erster Linie Fantasien, gelegentlich sehr konkrete Bilder oder (Alb)Träume und damit verbundene Selbstwahrnehmungen der Kinder oder Enkel. Manchmal gelingt es im Nachhinein, die traumatischen oder schuldhaften Erlebnisse der (Groß)Eltern zu rekonstruieren – aus Nachlässen, gefundenen Briefen oder durch spätes Erzählen. Dann tritt häufig ein großes Staunen darüber ein, wie sehr die Empfindungs- und Handlungsmuster der Nachkommen dem Erlebten der (Groß)Eltern entsprachen. Unbewusst hatten die Kinder oder Enkel die körpersprachlich mitgeteilten und von ihnen unbewusst-intuitiv erfassten Szenen ihrer (Groß)Eltern erfasst und zum Teil reinszeniert. Insbesondere Psychoanalytiker/innen konnten immer wieder – selbst darüber erstaunt – feststellen, wie intensiv und präzise dieser unbewusste Austausch stattfindet. Ungewollt und unbewusst geben die Eltern nicht nur die traumatisierenden Szenen weiter, sondern delegieren bei massiver Traumatisierung auch die psychische Integration, die ihnen nicht gelungen ist, an die nächste(n) Generation(en).

3. Gibt es persönliche Bezüge in Ihrer eigenen Familie und wie geht die mit diesen Erfahrungen um?

Als 1954 Geborene gehöre ich der Nachkriegsgeneration an, die äußerlich schon im Frieden aufwuchs, aber den inneren Unfrieden in vielen erwachsenen Menschen deutlich spürte, auch in der eigenen Familie. Die Narrative über den Krieg waren bruchstückhaft und es wurde immer wieder spürbar, dass vieles nur angedeutet oder unausgesprochen blieb. Erst mit Beginn der Studentenbewegung erfuhr ich mehr: über die Verfolgungen, Konzentrations- und Vernichtungslager, über Euthanasie – und las das Buch „Oradour“ von Jens Kruuse, durch das ich erstmals etwas über die von Deutschen begangenen Kriegsverbrechen erfuhr. Zudem hatte ich als Jugendliche engen Kontakt zu dem leitenden Ehepaar der örtlichen Volkshochschule. Beide stammten aus liberalen bildungsbürgerlichen Familien und hatten die Nazi-Zeit in innerer Emigration und mit großer Angst vor Verfolgung überstanden. Mit ihnen waren offene Gespräche möglich.  Dies alles waren entscheidende Einflüsse bei der Wahl meiner Studienfächer Soziologie, Politikwissenschaft und Sozialpsychologie.

Wenn Ihr mehr wissen wollt….

… über die unbewusste Weitergabe von Traumata und Schuld

Interview für die Sendung Scobel/3 Sat am 22. 9. 2016

  • „Die psychologische Bedeutung der Schuldabwehr von NS-Tätern und ihre Botschaft an die nachfolgende Generation“, in: Rolf Pohl/Joachim Perels (Hg): „Normalität der NS-Täter?“ Hannover, Offizin-Verlag 2011, S. 105-121, 14,80 Euro


…über weitere Themen von Angela Moré….