Johannes Spohr ist promovierter Historiker und freier Journalist. Seit diesem Jahr führt er außerdem von Berlin aus den Archivrecherchedienst present past, der auf Recherchen zum Nationalsozialismus in Familie und Gesellschaft spezialisiert ist.

In #6 Johannes geht es nicht nur um den Großvater – sondern auch um die Positionierung als Täter-Enkel.

Historiker Johannes Spohr, Foto: Susanne Hakuba
Der Historiker Johannes Spohr hat sich intensiv mit seinem Großvater beschäftigt. Foto: Susanne Hakuba

Enkel*innen – oder Söhne und Töchter, die Unterstützung bei der Archivrecherche brauchen, sind bei ihm also genau richtig. Das Leistungsspektrum reicht von der Erstrecherche bis hin zum Verfassen einer Biografie, aber auch Recherche-Workshops bietet Johannes an.

Johannes hat sich in der Forschung besonders auf den östlichen Kriegsschauplatz spezialisiert. Seine Dissertation schrieb Johannes über die Ukraine im Zweiten Weltkrieg zur Zeit des Rückzugs der deutschen Wehrmacht. Sie erschien 2021 unter dem Titel: „Die Ukraine 1943/44. Loyalitäten und Gewalt im Kontext der Kriegswende“.

Sein Großvater Rudolf ist zumindest indirekt ein Grund dafür, dass sich Johannes gerade mit diesem Thema – und auch mit den familiären und gesellschaftlichen Nachwirkungen des Nationalsozialismus privat und beruflich so stark beschäftigt: Sein Großvater war im Oberkommando des Heeres (OKH) in der Wehrmacht, u.a. als Ordonnanzoffizier an der Ostfront, in der Ukraine und im Kaukasus.

Drei Fragen – drei Antworten


Du hast über viele Jahre die Karriere Deines Großvaters in der NS-Zeit recherchiert. Was hat Dich dabei besonders beschäftigt?

Mir stellte sich bei den Recherchen die Frage, was die großen Kontinuitätslinien im Leben meines Großvaters – und teils auch meiner Großmutter –  waren. Dazu meine ich einige Antworten gefunden zu haben.

Die Recherchen lenkten meine Aufmerksamkeit darüber hinaus auf den östlichen Kriegsschauplatz und die Ukraine sowie auf die Rolle des Oberkommandos des Heeres (OKH) im Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion.

Heute würde ich sagen, dass diese Form der Recherche für mich ein persönlicher Zugang war, um mich intensiv mit spezifischen Aspekten der NS-Herrschaft zu beschäftigen. Es ist jedoch nicht zwangsläufig so, dass Interessierte solche persönlichen Bezüge haben oder das Interesse an der NS-Zeit darüber zustande kommt. Abseits dessen sind selbstverständlich bis in die Gegenwart hinein viele Menschen in Deutschland vom Umgang mit dem Nationalsozialismus geprägt. So lange dessen Wirkmächtigkeit fortbesteht, ist er auch nicht ‚lange her‘ und kann nicht historisiert werden. Es gibt weder eine Prämie auf die Erinnerung, noch wird ihr ausbleiben betraft. Um sich jedoch emanzipieren zu können, ist es bedeutsam, „zu wissen und auszuhalten, dass es so und nicht anders gewesen ist“ (Hannah Arendt).

Emanzipation sollte jedoch nicht gleichgesetzt werden mit Erlösung. Eine Befreiung von der Schuld der Vorfahren kann nicht das Ergebnis einer kritischen Auseinandersetzung mit Geschichte sein. Stattdessen lohnt es sich, sich zu fragen: Was möchte ich mit der Recherche erreichen? Schließlich hat es schon immer viele begeisterte Rechercheur*innen gegeben, deren Augenmerk sich auf militärische Aspekte richten, ohne nach Täterschaft zu fragen.

Bei Deinen Recherchen warst Du nicht nur mit der Kritik vieler Familienmitglieder konfrontiert, auch viele Einwohner von Nordenham reagierten erbost auf Deine Rechercheergebnisse. Dort war Dein Großvater bis zu seinem Tod vor einigen Jahren ja eine wichtige Größe. Wie bist Du damit umgegangen – und was sagen diese Reaktionen für Dich aus?

Die Reaktionen waren ambivalent. Erbost äußerten sich vor allem einige Einwohner*innen, die meinen Großvater entweder persönlich oder als öffentliche Figur gekannt hatten. Sie reagierten zunächst auf einen Artikel einer örtlichen Journalistin, der meine Mutter und ich ein Interview gegeben hatten. Solch ein Artikel bietet natürlich nicht genügend Raum, um ausführlich über die Rechercheergebnisse zu informieren. Das Interesse an einer näheren Erörterung schien mir jedoch gering. Daher würde ich sagen, dass die negativen Reaktionen sich vornehmlich daraus speisten, dass die NS-Vergangenheit konkret in das Stadtgeschehen getragen und bebildert wurde. Dies schien als etwas Neues und Beunruhigendes wahrgenommen zu werden. Die vielfältigen Reaktionen ließen erahnen, wie wenig – oder unkonkret – in der Stadt bis dahin nach dem NS-Erbe gefragt worden war.

Vor offenen Anfeindungen, Unterstellungen und dem Gift, das in diesem Zusammenhang gerne verspritzt wird, sollte man sich und andere schützen. Das funktioniert meist am besten in solidarischen Sphären und gemeinsam mit Gleichgesinnten.

Aus Nordenham erreichten mich auch durchaus positive Reaktionen, etwa von Menschen, die nun auch zu ihren Vorfahren recherchieren wollten. Ich denke, dass es hier Ansätze dazu gibt, den Respekt vor dem Verschweigen von Taten, mit dem viele aufgewachsen sind, aufzukündigen.

Der Schritt, die die Öffentlichkeit zu gehen, sollte gut durchdacht sein. Vor allem, weil mediale Debatten sich zwangsläufig verengen und eventuell nicht gehört wird, was man sagen möchte.

Was hat sich für Dich persönlich dadurch verändert, dass Du nun weißt – zumindest in großen Zügen, wie sich Dein Großvater in der NS-Zeit verhalten hat?

Das ist nicht leicht zu beantworten, da ich nicht weiß, wie sich die Dinge sonst entwickelt hätten. Vielleicht verstehe ich meinen eigenen wie auch familiären Sozialisierungsprozess ein Stückweit besser. Es ist natürlich mitunter unangenehm, die familiäre Herkunft nicht einfach ablegen zu können. Das festzustellen, gehörte für mich dazu. Die Auseinandersetzungen haben sich – im Positiven wie im negativen – stark auf die familiären Beziehungen ausgewirkt. Ich hätte mir aber keinen anderen Weg vorstellen können, als den Fragen nachzugehen. Dazu beigetragen hat auch, sich die Perspektive der Menschen zu vergegenwärtigen, die von Vernichtungskrieg und deutscher Besatzung in Osteuropa betroffen waren und sind.

Wenn Ihr mehr wissen wollt….

…zu Johannes‘ Recherchen über seinen Großvater Rudolf

…. über weitere Themen von Johannes

  • Assoziationen mit dem Unvergleichbaren“, Beitrag über die Frage, inwieweit Historiker Analogien zwischen Nationalsozialismus und Gegenwart ziehen dürfen, Jungle World 2020
  • Die Ukraine 1943/44. Nationalsozialistische Gewalt und ihre Vergegenwärtigung in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit, in: Alexandra Klei/Katrin Stoll (Hrsg.): Leerstelle(n)? Der deutsche Vernichtungskrieg 1941–1944 und die Vergegenwärtigungen des Geschehens, erschienen 2019 im Neofelis Verlag 2019