Kurt

„Genauso wie in den meisten Familien von Täter*innen wurde auch bei mir (Jhg. 1959) nur anekdotisch über die Familiengeschichte im Krieg gesprochen. Wie zum Beispiel, dass Tante Otti ihrem Halbbruder nach dem Krieg ein halbes Pfund Butter brachte, während dieser in niederländischer Gefangenschaft auf seinen Prozess abwartete. Die Butter war in ihren hochgesteckten Haaren versteckt. Bevor einer der Wachen eingreifen konnte, hatte mein hungriger Vater (‘Er woch nur nog 48 Kilo’) sie schon runtergeschluckt.

‘Bijzondere Rechtspleging’

Der ‘Vorteil’ von niederländischen Vorfahren, die ins NS-System verstrickt waren, gegenüber von deutschen ist, dass sich fast alle Männer, die während des Krieges auf der Seite der Nazis kämpften (mein Vater war ab 1943 bei der Waffen SS), vor Gericht zu verantworten hatten. Von diesen ‘Bijzondere Rechtspleging’ wurde mein Vater zu zwei Jahre Haft verurteilt, weil er in einem fremden Heer gedient hatte. Bei seinem Prozess im Dezember 1947 hatte er seine Haftstrafe schon abgesessen. Er war 25 Jahre alt und ging zurück zu seinen Eltern. Das Dorf, in dem sie lebten, hatten sie nie verlassen.
Mein Großvater war Mitglied der Nationaal-Socialistische Beweging in Nederland, NSB, deren Parteiprogramm sich eng an das der NSDAP anlehnte. Während der deutschen Besatzung hatte er manchmal Menschen geholfen, die untergetaucht waren, deshalb wurde er auch wieder in die Dorfgemeinschaft aufgenommen. Genauso wie mein Vater.

Viele Fragen

Opa Rozer

In meinem Buch ‘Zo Vader’ (auf deutsch: „Du Vater“) vergleiche ich mich selbst mit einem Schaf. Manchmal sieht man in einer Herde einige Tiere mit einem roten Punkt auf den Rücken. Ein Zeichen für den Schäfer, dass es gedeckt worden ist. Alle können es sehen. Nur das Schaf selbst nicht.
In meinem Buch habe ich viele Fragen, die auch deutsche Nachkommen von Tätern und Mitläuferinnen haben, versucht zu beantworten. Aber ich hatte und habe auch immer den niederländischen Blick, der sorgt für mehr Abstand – und manchmal für etwas mehr ‘Sauerstoff’. Die Schuld aber bleibt, mein Leben lang. Das habe ich seit Veröffentlichung meines Buches 2013 akzeptiert, es zu schreiben, hat mir dabei sehr geholfen.

Das Buch von Marcel Rözer ist 2003 auf Niederländisch erschienen und heißt „Zo vader: een keuze voor de Waffen-SS die generaties lang nadreunt“.