#18 Marcus und Julia

privat

„Ich fand in meinem Fall die klassischen Mitläufer mit den klassischen Erfahrungen von Gewalt und Grausamkeit, von denen ich nicht sicher bin, ob sie Traumata hinterlassen haben oder nicht. Über diese Mitläufer würde ich gerne mehr erfahren. Ich meine damit jene, die nicht explizit als Täter zu erkennen sind, weil man vielleicht auch nicht so ganz genau weiß, was sie im Krieg gemacht haben, und die Informationen über die Wehrmachtseinheiten, denen sie angehörten, erstmal vermeintlich harmlos daherkommen. Also kein direkter Zusammenhang mit Massakern an einer Zivilbevölkerung z.B. erkennbar ist. Mein Großvater war beispielsweise als sehr niedriger Dienstrang in einer Versorgungseinheit auf dem Flughafen Thessaloniki stationiert, der Urgroßvater war Musiker in einem Musikkorps der Wehrmacht.

Ein Schrank voller Geheimnisse

Fast alles, was ich über sie und ihr militärisches Tun während des Krieges weiß, stammt von der WASt.
Schon als Jugendliche hat mich das interessiert und ich habe die noch lebenden Familienmitglieder befragt. Die Männer waren bereits verstorben und die Frauen wussten mir oft nicht viel zu sagen mangels vermeintlich fehlenden Faktenwissens. Also habe ich mich einige Jahre später eben an die WASt gewandt. Diese Infos lagen dann lange nur im Schrank, immer mal wieder kam mir in den Sinn, dass ich da noch nicht fertig war, aber irgendwie kam das Leben dazwischen und ich war anderweitig beschäftigt. Die Unterlagen liegen immer noch bei meinen Eltern im Schrank und warten darauf, weiter beforscht zu werden.

Die europäische Dimension des Krieges nicht vergessen

In einer der Folgen spracht Ihr noch etwas an: je weiter die Zeit voranschreitet, umso eher wird es Menschen geben, die sich sowohl mit den Tätern als auch mit den Opfern identifizieren können, weil beides in ihren Familien vorkommt. Ergänzen möchte ich: nicht nur die deutsche Täter- und Opferseite, auch die europäische Dimension des Krieges kann es (und vielleicht auch immer mehr, je mobiler Gesellschaften sind und werden) in eine Familie geben. Mein anderer Urgroßvater war beispielsweise französischer Zwangsarbeiter in Braunschweig. Seine Tochter, meine Oma, hatte wenig Kontakt zu ihm und konnte mir nur wenige Informationen über ihn geben. Die Arolsen Archives konnten mir einige Dokumente aus seiner Zeit in Braunschweig schicken, aber ich weiß bis heute nicht, wo genau er arbeiten musste und was er getan hatte, um für einige Monate ins Gefängnis zu kommen.“