Wohnwagen innen, Foto: privat

„Ich bin in einer sehr tollen Familie aufgewachsen und sie immer als sehr offen erlebt, nie einengend. Und doch habe ich schon als Kind gemerkt, dass meine Familie sehr zurückhaltend ist, was die Mehrheitsgesellschaft betrifft. Vorsichtig. Ich bin aufgewachsen als deutscher Sinto, ohne zu sagen, dass ich Sinto bin. Erst später habe ich begriffen, warum das meiner Familie wichtig war.
Die Familiengeschichten von Sinti*zze und Rom*nia sind, zumindest was die Zeit des Faschismus betrifft, große Dramen gewesen. Wenn ich etwas erfahren habe, dann war es immer nur Fragmente und immer dieselben. Meine Urgroßmutter war Stoffhändlerin und zog mit ihrer Tochter, meiner Großmutter, von Markt zu Markt, um Stoffe zu verkaufen. Ein typisches Stereotyp vom unsteten Leben, vom Wandervolk, dass Sintizze und Romnja so oft begleitet. Gleichzeitig aber war es eben so, weil uns über Jahrhunderte verwehrt wurde, an einem Ort zu bleiben.

Überleben im Versteck

Zeit mit Kindern: Foto: privat

Diskriminierungen an Sinti*zze und Rom*nia gibt es seit Jahrhunderten, aber mit den Nazis wurde daraus eine industriellen Vernichtung. Schritt für Schritt wurden ab 1933 die Maßnahmen verschärft: Meine Urgroßmutter zum Beispiel wurde mit ihrem Wagen festgesetzt in Hannover, auf dem Schaustellerplatz. Sie durfte diesen Platz nicht verlassen, stattdessen mussten sie und ihre Tochter Zwangsarbeit leisten in einer Fabrik, die für die Wehrmacht zerschossene Anzüge von Fallschirmjägern flickte. Meine Großmutter war da etwa 12, 13 Jahre alt. Mit Himmlers sogenannten Auschwitz-Erlass wurden die Schwestern meiner Urgroßmutter und mein Onkel im März 1943 ins Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Meine Urgroßmutter und meine Großmutter konnten sich zum Glück verstecken, wo und wie sie es genau geschafft haben, bis zum Kriegsende zu überleben, weiß ich nicht.
Nur mein Onkel und einige wenige haben Auschwitz überlebt. Seine Tätowierung auf dem Unterarm hat mich geprägt.“

Deutungshoheit behält Familie

Bis jetzt habe ich nicht vor, im Archiv nach Dokumenten zu suchen. Die sind doch von Tätern geschrieben. Auch wenn ich akzeptieren muss, dass Zeitzeugen gehen und sich unsere Familiengeschichte durch die Weitergabe auch verändert und ich nie alle Puzzleteile zusammenbekomme: Ich will, dass meine Familie die Deutungshoheit behält. Das klingt vielleicht lapidar, aber es ist wichtig, dass man uns auch hört und dass wir unsere eigenen Geschichten weitergeben.“