Christa Bröcher, Duisburg
#21 Widerstand

Großvater Anton, Foto: privat

„Meinen Großvater Toni Melchers durfte ich nur kurze Zeit erleben. Ich war drei Jahre alt, als er am 29. 06. 1947 in Düsseldorf an den Folgen der erlittenen Haft im Zuchthaus Brauweiler, im KZ Börgermoor, im KZ Sachsenhausen und der Strapazen des Todesmarsches von Sachsenhausen Richtung Lübeck starb.
In meinen bruchstückartigen Erinnerungen sehe ich ihn als einen gütigen, geduldigen Opa. Wenn meine Mutter und ich ihn im Büro an der Kasernenstraße in Düsseldorf aufsuchten – er war Leiter der Sozialabteilung der VVN – setzte er mich auf seinen Schreibtisch, spielte mit mir und hatte manchmal sogar etwas Süßes für mich.
Die wenigen Fotografien, die ich von ihm habe, zeigen ihn als Soldaten im ersten Weltkrieg, dann im Garten im Liegestuhl im Kreis der Familie und schließlich im Porträt nach seiner Rückkehr nach Düsseldorf.
Ich muss ihm wohl ein wenig ähnlichsehen. Denn wenn wir Ende der 1950er, Anfang der 1960er Jahre anlässlich des Internationalen Frauentages am 8. März in Düsseldorf rote Nelken verteilten, bekam ich oft zu hören: ‚Du bist ´en Melchers-Mädchen!‘

Nummeriertes Faltblatt von 1947

Eigene Suche begann spät

KdW W. Langhoff Rede bei Toni Melchers Heim, Foto: privat

Damals war mir zwar schon klar, dass Toni Melchers in Düsseldorf nicht nur bei Naziverfolgten sehr bekannt und geachtet war. So sprach der damalige Oberbürgermeister und NRW-Ministerpräsident Karl Arnold bei seiner Beerdigung und Sozialminister Dr. Rudolf Amelunxen ließ letzte Grüße verlesen.
Aber dem Leben meines Großvaters nachzuspüren, das Gehörte aus der Erinnerung aufzuschreiben, nach Dokumenten in Archiven zu forschen, damit begann ich erst viel später – leider.
Den entscheidenden Anstoß mit den Forschungen zu beginnen, bekam ich, als mir die Dokumentation der VVN/BdA in die Hände fiel, die anlässlich des 50-jährigen Bestehens der Organisation herausgegeben worden war.
Dort lass ich u. a. über meinen Großvater:

  • ‚Am 26. Oktober 1946 fand im „neuen Theater“ in Düsseldorf die Gründung der VVN Nordrhein-Westfalen statt… Toni Melchers wurde zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt.‘
  • ‚Nach Toni Melchers wurde auch das KZ-Erholungsheim in Wülfrath – das u.a. auch von ihm am 1. Juli1946 eröffnet wurde – benannt, in dem langjährige politische Gefangene einen Erholungsurlaub von vier Wochen erhielten, der von der Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz getragen wurde.“
  • „Seit 1903 gewerkschaftlich, seit 1907 politisch organisiert, war er (Toni Melchers) ein Kriegsgegner. Er gehörte zu den Mitbegründern der USPD (Zur Geschichte der USPD – Rosa-Luxemburg-Stiftung) und des Spartakusbundes, war 1918 Mitglied im Düsseldorfer Arbeiter- und Soldatenrat, wird 1919 in der Räterepublik Polizeipräsident* in München und kämpft 1920 gegen die Kapp-Putschisten. Er arbeitet weiter in der Gewerkschaft, macht bei der Internationalen Arbeiterhilfe mit und im Verlag der KPD-Zeitung Freiheit.‘

Schreiben, damit Hass und Hetze nicht vergessen werden

Merson Melchers

Da ergaben sich für mich auf einmal ganz neue Seiten meines Opas, z. B. die militante Seite. Inzwischen weiß ich, dass er in Düsseldorf und München an militärischen Aktionen führend mitwirkte (https://metropol-verlag.de/ewald-ochel-was-die-naechste-zeit-bringen-wird-sind-kaempfe/) und dass er am 29. Oktober 1929 in Düsseldorf an der Pfeiffer-Brücke wieder führend daran beteiligt war, die SA daran zu hindern in die Arbeiterviertel in Gerresheim vorzudringen.
Ist es ein Widerspruch, Kriegsgegner zu sein und doch mit der Waffe in der Hand z. B. gegen den Kapp-Putsch zu kämpfen? Ich glaube, für meinen Opa als überzeugten Antifaschisten war es das nicht.
Ich bin dabei, weiter zu forschen und die Geschichte meiner Familie aufzuschreiben, denn auch meine Großmutter, Mutter, Tanten waren während der Nazizeit mehrere Monate oder auch Jahre inhaftiert und litten unter der Naziverfolgung.
Vielleicht kann man ahnen, wie empört ich bin, wenn ich die z.T. gleichen Parolen höre, den gleichen Hass gegenüber Andersdenkenden und scheinbar anders Seienden verspüre, den schon meine Familie erleben musste. Motivation genug, um mich entschieden gegen alle Erscheinungsformen des Neofaschismus einzusetzen – und um zu schreiben, damit nicht vergessen wird, wohin Hetze und Hass führen können.“